Kristian Gründling ist ein mehrfach preisgekrönter Regisseur und Dokumentarfilmer, der für seine einfühlsamen und tiefgründigen Erzählungen bekannt ist. Wir haben den Regisseur in München getroffen.
Herr Gründling, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben. Sie gehen in Ihren Filmen sehr wertschätzend und achtsam mit den Perspektiven Ihrer Protagonisten um. Was bedeutet für Sie Wertschätzung?
Menschen wollen anerkannt sein, sie wollen gesehen werden, privat wie auch in ihrem täglichen Tun in ihrer Arbeit. In meinen Filmprojekten – insbesondere in der Arbeitswelt, begegne ich vielen Menschen, die das schmerzlich vermissen. In meinem Film „Die stille Revolution“ zum Beispiel begleitete ich einen Unternehmer, der das Prinzip „Wertschöpfung durch Wertschätzung“ in den Kern seines unternehmerischen Handelns gestellt hat und damit sehr erfolgreich war. Das hat mich sehr beeindruckt.
Haben Sie da ein konkretes Beispiel aus
diesem Projekt?
Ja, die Reinigungskräfte in dem Hotelunternehmen, diese Menschen haben sich quasi unsichtbar gefühlt. Sie hatten das Gefühl, dass ihre Arbeit nicht wertgeschätzt wird. Sie fühlten sich von niemandem gesehen und haben das so verinnerlicht, dass das mit der Zeit zu ihrem Selbstbild wurde. Sie schämten sich und versteckten sich sogar vor Hotelgästen. Doch im Zuge des begleiteten Kulturwandels wurden sie in den Mittelpunkt gerückt und wertgeschätzt. Es ging dabei nicht nur darum, ihnen mal freundlich „Guten Tag“ zu sagen, sondern eine grundsätzliche Haltung ihnen gegenüber zu ändern. Wie wertvoll sie für das Unternehmen sind, wie sie bezahlt werden und wie mit ihnen gesprochen und umgegangen wird. So wurden sie sich zunehmend ihrer Bedeutung und Wichtigkeit für das Unternehmen bewusst. Es hat mich berührt zu sehen, wie diese Wertschätzung ihr Selbstbewusstsein verändert hat.
Glauben Sie, dass Wertschätzung auch etwas ist, das man in sich selbst finden muss?
Absolut. Es ist entscheidend, dass man sich seines eigenen Wertes bewusst wird und diesen Wert auch nicht abhängig macht von einer Leistung oder der Anerkennung von außen. Zu erkennen, dass dieser Wert bereits in uns allen steckt und jeder Mensch eine eigene Würde hat, die nicht an eine Leistung geknüpft ist war auch eine wichtige Erkenntnis in meinem Leben.
„Was bin ich für ein Geschenk für die Welt?“ heißt es in meinem Film „Work in Progress“. Dieser Gedanke basiert darauf, dass wir alle – ausnahmslos – einen Schatz in uns tragen, den es zu entdecken gilt. Ein Schatz, der von uns ausgeht hin zu anderen – das ist echtes, sinnerfülltes Leben. In vielen Unternehmen gibt es diese ungeborgenen Schätze. Es lohnt sich also auch für sie sich diese Frage zu stellen und damit mit einem neuen Bewusstsein Potenziale zu entfalten: „Nicht der Mensch als Mittel zum Zweck für Wirtschaftserfolg, sondern die Wirtschaft als Mittel zum Zweck für Menschen-Erfolg.“

Die Werke von Kristian Gründling beschäftigen sich oft mit gesellschaftlich relevanten Themen, wobei er den Fokus auf menschliche Perspektiven und emotionale Erlebnisse legt. Außerdem arbeitet er erfolgreich als Transformationsbegleiter mit renommierten Unternehmen wie der Deutschen Bahn, der Lufthansa und der Haufe Akademie zusammen.
Spielt Zukunftsangst eine Rolle in Ihren Filmen?
Viele Menschen erleben heute eine wachsende Angst vor der Zukunft, die von Unsicherheiten über Veränderungen und ihre Folgen geprägt ist. Diese Angst wirkt oft wie eine Blockade: Sie beeinflusst politische und unternehmerische Entscheidungen und verstärkt oft den Widerstand gegen notwendige Anpassungen. Statt auf Möglichkeiten zu schauen, liegt der Fokus auf potenziellen Verlusten oder Verzicht, was die Bereitschaft zur Veränderung hemmt. Gleichzeitig entsteht eine Überforderung in der Gegenwart, weil die Geschwindigkeit und Komplexität der Veränderungen immer weiter zunimmt. Die Anforderungen, sowohl neue Wege zu finden als auch gleichzeitig mit den bestehenden Herausforderungen umzugehen, verschmelzen und erzeugen einen permanenten Druck.
Wir sollten uns also auf die Chancen konzentrieren, die sich uns im „Jetzt“ bieten?
Wer offen und aufmerksam bleibt kann gerade jetzt neue Möglichkeiten entdecken. Das „Jetzt“ ist voller Potenzial. Dem Moment also mit Wertschätzung zu begegnen, sich nicht ständig ablenken zu lassen erleichtert uns auch den Zugang zu unserer Kreativität und Innovationskraft. Das erfordert oft Disziplin, aber es ist entscheidend, um die Chancen, die sich uns bieten, zu nutzen. In einer Zeit, in der wir oft nur auf Bildschirme starren und die echten Momente verpassen, ist es wichtiger denn je, bewusst zu leben. Echte Verbindungen entstehen aus echter Präsenz. Wenn wir das erkennen, können wir nicht nur unser eigenes Leben, sondern auch das Leben anderer bereichern. Und das ist, denke ich, eine wertvolle Vision für die Zukunft.
Was brauchen wir noch für eine solche Vision?
Es geht darum, dass wir uns wieder erlauben, zu träumen! Neue Sehnsuchtsorte zu schaffen – positive Zukunftsbilder, die uns inspirieren und motivieren. Der Nobelpreisträger Professor Yunus, der mit Mikrokrediten in Bangladesch so viel bewegt hat, sagte mir einmal: „Think Big and Think as Wildly Big as Possible.“ Wir sollten uns keine Schranken auferlegen, wenn es darum geht, große Ideen zu entwickeln. Die Menschheit hat noch nie so sehr wie heute diese positiven Bilder und Visionen gebraucht.
In Ihrem Film „Die stille Revolution“ ist ein Unternehmer zu sehen der sich für eine Weile ins Kloster zurückgezogen hat. Was hat es auf sich mit der Stille?
Viele Menschen haben die Vorstellung, dass Spiritualität oder Meditation eine Art Balsam ist, der sich über alles legt und uns beruhigt, uns ruhigstellt. Das Gegenteil ist der Fall. Die scheinbare Leere führt oft dazu, dass man sich selbst und die Dinge, die nicht in Ordnung sind, überhaupt erst (oder auch viel besser) wahrnimmt. Das ist eine Art von Bewusstsein, das nichts mit Esoterik zu tun hat, sondern mit echter Selbstwahrnehmung.
Wie kann diese Art der Selbstwahrnehmung in Unternehmen hilfreich sein?
Meine Arbeit mit Unternehmen lässt mich immer wieder entdecken, wie wichtig es ist, Mitarbeiter zu haben, die bei sich selbst sind. Die sich ihrer selbst bewusst sind und präsent sind. Sie sind konzentriert, hören den anderen zu, arbeiten besser mit anderen zusammen, nehmen wahr, was um sie herum passiert und kommen dadurch auch auf bessere Ideen.
Ist es nicht verdammt schwierig, immer im Moment zu sein?
Ich erlebe ganz persönlich und auch in meiner filmischen Arbeit wie verführerisch unsere digitalen Geräte sein können, uns vom Moment abzulenken. Die Verführung liegt in der ständigen Verfügbarkeit alternativer Reize – ob über Social Media, verrückte Videos oder Nachrichten. Diese ständige Ablenkung verhindert, dass wir die kleinen, aber wichtigen Dinge im “Jetzt“ wahrnehmen: den dramatischen Himmel, das verfärbte Herbstlaub oder den Blick des Partners. Ob privat oder im Job. Es ist eine Herausforderung, für uns als Menschheit dieser Verführung zu widerstehen, weil sie uns ständig umgibt. Ein einfacher Schritt ist, das Handy mal zur Seite zu legen und sich dann überraschen zu lassen. Kreativität entsteht oft aus Langeweile und aus Zufällen, die plötzlich auftauchen.
Sie haben in Ihrem Film „Die stille Revolution“ das Thema Arbeit untersucht und dabei auch historische Perspektiven beleuchtet. Wie würden Sie den Unterschied zwischen der „alten“ und der „neuen“ Arbeit beschreiben?
Ich habe mal das Wort „Arbeit“ im Antiquariat in einem alten Duden nachgeschlagen: Hier wurde es als „Mühsal“ oder gar „Plage“ beschrieben. Mir fiel auf, dass viele Menschen noch mit diesen alten Bildern im Kopf der Arbeit begegnen, Arbeit eng an das eigene Überleben verknüpft, Arbeit als etwas Unangenehmes, das lediglich dazu dient sich Geld zu verschaffen.
Ich habe den Eindruck, dass heute mehr Menschen denn je nach einem tieferen Sinn in ihrer Arbeit suchen. Diese Menschen sind nicht mehr bereit, Dienst nach Vorschrift zu machen, sondern haben Lust, etwas zu gestalten und zu erschaffen. Diese Entwicklung war in den letzten Jahren stark zu beobachten. Viele Menschen haben erkannt, dass Arbeit mehr sein kann, als nur ein Job – es geht um das Einbringen der eigenen Fähigkeiten und um das Gefühl, etwas zu bewirken. Das war schon immer latent da, aber es wird jetzt viel bewusster gelebt.
Glauben Sie, dass die Corona-Pandemie diese Veränderung beschleunigt hat?
Ja, Corona und der Wechsel ins Home-Office haben de-finitiv viele Themen aufgebrochen. Die Frage, ob Arbeit wirklich an einem festen Ort und zu bestimmten Zeiten stattfinden muss, hat sich dadurch noch deutlicher gestellt. Auch wenn ich persönlich kein großer Fan von Home-Office bin, bedeutet es für viele Menschen mehr Freiheit und Flexibilität und hat außerdem ökologische Vorteile.
Sie zitieren oft Frithjof Bergmann, den Begründer des Konzepts der „neuen Arbeit“. Was hat Sie an seinen Gedanken besonders inspiriert?
In einem Interview mit ihm betonte er, dass „neue Arbeit“ bedeutet, etwas zu tun, was man wirklich, wirklich, wirklich will. Dieses ‚wirklich‘ dreimal zu betonen, war ihm wichtig, weil es darum geht, eine echte Leidenschaft und Überzeugung für das zu finden, was man tut. Seiner Ansicht nach war für viele Menschen Arbeit lange eine Art „milde Krankheit“ – nicht wie ein schweres Leiden, aber eben sicher keine Quelle der Freude. Bergmann beschrieb Arbeit oft als etwas, das man „irgendwie durchhält“. Das hat sich verändert.


Kristian Gründling
Dokumentarfilmer und Regisseur
Glauben Sie, dass jüngere Generationen mutiger sind, diese Veränderungen einzufordern?
Definitiv. Jüngere Generationen haben aktuell ein ganz anderes Arbeitsangebot vor sich, können freier entscheiden, treten selbstbewusst auf und fordern viel von potenziellen Arbeitgebern. Das Bedürfnis nach Sinn und wertschätzendem Umgang ist meines Erachtens aber in allen Altersgruppen vorhanden. Genauso wie eine gewisse Unabhängigkeit vom Ort und von festen Zeiten, sowie das Streben danach gesehen zu werden, Feedback zu erhalten, seine Fähigkeiten einzubringen und sich persönlich weiterzuentwickeln.
Sie haben einmal von einer persönlichen Krise erzählt, die Ihr Denken stark beeinflusst hat. Mögen Sie darüber sprechen?
Ja, das war eine ziemlich einschneidende Phase in meinem Leben. Es war eine Zeit, in der vieles gleichzeitig zusammenbrach – mein Vater starb, eine Partnerschaft endete und auch beruflich gab es Rückschläge in einer Wirtschaftskrise. Alles schien aus den Fugen zu geraten. Es war hart, aber im Nachhinein bin ich dankbar, denn diese Krise hat mich dazu gebracht, mich selbst zu hinterfragen. Lebe ich eigentlich meine Werte? Und was möchte ich wirklich mit meinem Leben anfangen?
Ich bin damals nach Indien gereist, nach Rishikesh, ein spiritueller Ort nahe am Ursprung des Ganges. Dort habe ich viel Zeit in Stille verbracht, aber auch viele interessante und teils kuriose Menschen getroffen. Neugierig gemacht hatte mich auch ein ortsbekannter Wahrsager, der vorgab die Zukunft vorhersagen zu können. Ich fand das faszinierend und wollte wissen, wie er das macht. Er erklärte mir, dass er die Dinge einfach linear weiterdenkt. Er nimmt den aktuellen Zustand einer Person wahr und projiziert diesen dann in die Zukunft, basierend darauf, wie sich die Situation unverändert weiterentwickeln würde. Er machte mir klar, dass die Zukunft nicht festgelegt ist, sondern dass wir sie ständig durch unsere bewussten Entscheidungen beeinflussen können.
Also, selbst wenn wir uns in schwierigen Situationen befinden, können wir die Richtung ändern?
Genau. Er erklärte mir, dass die Zukunft nur dann vorherbestimmt sei, wenn wir in einem Zustand der Unbewusstheit verharren und nichts verändern würden – so weitermachen, wie immer. Dadurch entstehe dann diese vorbestimmbare Linearität. Wenn wir bewusst handeln und die Kontrolle übernehmen, dann liege die Zukunft in unseren Händen. Dann brächen wir aus dem Trott aus. Das war für mich eine wichtige Erkenntnis in dieser Phase.
Sie arbeiten gerade an einem internationalen Projekt in dem der Begriff „Momentum“ eine große Rolle spielt.
Ja, da geht gerade etwas Großes vor sich und „Momentum“ ist eine gute Beschreibung dessen. Für mich persönlich bedeutet „Momentum“ der Moment, in dem man frei ist, seine Zukunft aktiv selbst zu gestalten.
Es geht darum, bewusste Entscheidungen zu treffen, die großen Einfluss auf das haben, was vor uns liegt. Es ist unser Handlungsspielraum – eine Möglichkeit, aus alten Mustern auszubrechen. Besonders jetzt, in Zeiten großer Herausforderungen, haben wir die Gelegenheit, den Kurs zu ändern. Denn momentan erleben wir eine Zeit, in der nach meiner Wahrnehmung viele Dinge nicht mehr wie gewohnt funktionieren. Das gilt für die aktuelle Wirtschaftslage genauso wie für unsere ökologischen Herausforderungen. Klimawissenschaftler sind regelmäßig überrascht, wie schnell sich die Lage verschlimmert – ihre Modelle hinken oft hinter der Realität her. Statt uns von düsteren Prognosen lähmen zu lassen, sehe ich im „Momentum“ eine positive Möglichkeit, das Potenzial eines Quantensprungs. Wir müssen jetzt reflektieren, alte Gewohnheiten hinterfragen und konkrete Schritte zu einer besseren Zukunft unternehmen. Ich denke, dass wir als Gesellschaft an einem „Momentum“ stehen – an einem Punkt, an dem jede Entscheidung zählt. Wir sollten uns bewusst machen, dass unsere Handlungsmöglichkeiten enorm sind und dass jetzt die Zeit ist, den Kurs zu ändern. Jetzt geht es darum, präsent zu sein und achtsam mit den eigenen Entscheidungen umzugehen. Sich selbst und andere bewusster wahrzunehmen, das ist auch für unsere Wirtschaft von essenzieller Bedeutung. Für mich persönliche kann ein Moment der Augenblick sein, in dem ich mich morgens dazu entscheide, joggen zu gehen – auch wenn ich müde bin. Ich weiß, dass es mir den ganzen Tag über besser geht, wenn ich laufe. Es braucht oft nur einen kleinen Impuls, der im richtigen Moment zur Gewohnheit wird. Und ich denke auf einer größeren Ebene ist das genauso: Es ist eine gesellschaftliche und auch politische Aufgabe, sich dieses Potenzials bewusst zu werden und Verantwortung zu übernehmen.
Herr Gründling, vielen Dank für Ihre Zeit.
Sehr gerne.

Kristian Gründling beleuchtet in seinen Dokumentarfilmen eindrucksvoll gesellschaftliche und zwischenmenschliche Themen. Mit Filmen wie „Die stille Revolution“ setzte er Maßstäbe, indem er die Bedeutung von persönlicher Entwicklung und Achtsamkeit in der Arbeitswelt eindrucksvoll dokumentierte. Gründling wurde für seine Arbeit mehrfach prämiert, unter anderem für seine besondere Fähigkeit, komplexe Themen wie neue Arbeitswelten und Führungskultur greifbar und inspirierend zu erzählen. Seine Filme bieten nicht nur visuelle Erlebnisse, sondern
regen auch zum Nachdenken und Neudenken an.