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NACHHALTIGKEIT

Wiederverwenden




Während man durch die Stadt streift, auf der Suche nach potenziell wiederverwertbaren Baustoffen, wird einem schnell bewusst: Es gibt eine Fülle davon. Was geschieht bei einem Abriss mit Glasfassaden von Bürohäusern? Was wird aus dem attraktiven Klinkermauerwerk des leerstehenden Kaufhauses? Was wird aus den soliden Stahlträgern einer Werkshalle? Handelt es sich doch um wertvolle Materialien, deren Produktion aufwendig und zeitintensiv war und die es zu bewahren und für das Bauen wiederzuverwenden gilt.



Bisher werden viele Baustoffe zu Schutt und landen auf Deponien. In einer Kreislaufwirtschaft behalten demontierte Baumaterialien ihren Wert und werden einer neuen Verwendung zugeführt. In diesem System wird angestrebt, Materialien so lange wie möglich zu nutzen, sie effizient wiederzuverwenden, zu reparieren und zu recyceln. Das Hauptziel dieses Ansatzes ist die Minimierung des Ressourcenverbrauchs, denn die Ressourcen der Welt sind endlich. Daher ist die Produktion von Abfall zu vermeiden.


Aus Alt wird Neu


Die Möglichkeit, Baumaterialien wiederzuverwenden, ist in diesem Kontext besonders wichtig, da die Bauindustrie einer der größten Verbraucher natürlicher Ressourcen ist und erheblich zur Umweltbelastung beiträgt. In die Vergangenheit geblickt, war die Wiederverwendung von Materialien aus praktischen und wirtschaftlichen Gründen üblich. Alte Zivilisationen, von den Römern bis zu den Byzantinern, nutzten bereits Ruinen als Steinbrüche, um neue Gebäude daraus zu errichten. Bis in die Neuzeit hinein wurden Bauteile wiederverwendet, repariert, und möglichst lange genutzt. Erst in der industriellen Moderne wurde diese Praxis durch das Streben nach Neuem und durch industrielle Produktionsmethoden verdrängt. Und trotz alledem haben Architekten in Europa immer wieder aus verschiedenen Gründen Bauteile wiederverwendet oder deren spätere Wiederverwendung vorausgeplant – nicht als Selbstzweck, sondern als integralen Bestandteil ihrer Architektur. In den letzten Jahrzehnten, angetrieben durch ein wachsendes Bewusstsein für Umweltprobleme und Nachhaltigkeit, gewinnt die Praxis der Wiederverwendung zunehmend an Interesse. Aktuelle Trends zeigen, dass die Wiederverwendung von Bauteilen nicht nur ein Baustein zur Lösung für die ökologische Krise darstellen kann, sondern auch neue ästhetische und funktionale Möglichkeiten eröffnet.


Einfach sammeln


Vor dem praktischen Prozess der Wiederverwendung steht die Entscheidung, gebrauchte Bauteile für einen Neubau in Betracht zu ziehen und die Planung des Gebäudes ensprechend vorzubereiten. Die eigentliche Wiederverwendung beginnt mit dem behutsamen und selektiven Rückbau, um die Integrität der Materialien zu bewahren. Stahlstrukturen sind wegen ihrer genormten Größen und ihrer Langlebigkeit besonders wertvoll für eine neue Nutzung. Sie können aus alten Gebäuden demontiert und in neuen Konstruktionen, wie in Gewerbe- oder Industriebauten, erneut verwendet werden.  Auch Fenster, Türen, Ziegel, Trockenbauelemente oder Fliesen und Sanitäranlagen können relativ leicht ausgebaut und neu genutzt werden. Nach ihrer Bergung werden diese Materialien gereinigt, klassifiziert und auf ihre Wiederverwendbarkeit hin geprüft. Beschädigte Teile werden repariert oder im Idealfall zu neuen Produkten verarbeitet. Die aufbereiteten Materialien werden dann katalogisiert und in spezialisierten Lagern aufbewahrt, wo sie potenziellen Käufern und Bauherren zur Verfügung stehen. Digitale Kennzeichnung und effiziente Logistiksysteme sind entscheidend, um die Materialien in einen heutigen Planungsprozess zu integrieren sowie rechtzeitig und kosteneffizient an die Baustellen zu liefern. Unternehmen wie concular.de bieten auf ihren Plattformen wiederverwendbare Bauteile katalogisiert zum Kauf an.


Indentitätsstiftend


In der Kunst bezeichnet der Begriff „Readymade“ die Praxis, vorgefundene Objekte, die normalerweise nicht zusammengehören, miteinander zu kombinieren. Durch diese ungewöhnliche Zusammenstellung entsteht dennoch ein kohärentes Kunstwerk. Übertragen auf die Architektur können wiederverwendbare Baustoffe und Bauteile in neuen Kontexten und Konstruktionen innovative, kosteneffiziente und umweltfreundliche Gebäude schaffen, die einzigartig und charakterstark sind. Sie können indentitätsstiftend wirken, nicht nur weil sie eine Geschichte erzählen, sondern auch eine ablesbare Verbindung zur Vergangenheit herstellen.




Wenn wir die Gebäude von heute als Ressourcenquelle von morgen verstehen, dann ist der erste Schritt in den Kreislauf getan.




Neu Sehen lernen


Projekte mit wiederverwendeten Bauteilen haben das Potenzial, die geübten Sehgewohnheiten auf die Architektur völlig zu verändern, indem sie den Fokus von der Schaffung von etwas „Neuwertigem“ hin zur Wertschätzung des Bestehenden verlagert. Dieser Wandel erfordert ein Umdenken in Bezug auf Designprinzipien und eine Neubewertung dessen, was als ästhetisch wertvoll gilt. Die Integration von wiederverwendeten Bauteilen in neue Entwürfe erfordert ein hohes Maß an Kreativität und Flexibilität. Die Aufgabe von Architekten ist dabei, das Potenzial von wiederverwendeten Materialien zu erkennen und sie so in ihre Entwürfe einzubinden, dass sie die gewünschte Ästhetik und Funktionalität unterstützen. Dies erfordert eine sorgfältige Auswahl und Anpassung der Materialien, um sicherzustellen, dass sie mit dem Gesamtdesign harmonieren und die erforderliche Leistung erbringen. Insbesondere wenn die verfügbaren Materialien in Größe, Form oder Stil variieren, werden kreative und innovative Lösungen mit einer neuen Architektursprache entstehen. 


Neue Geschäftsmodelle


Für die bauausführenden Unternehmen erfordert die Handhabung von wiederverwendeten Materialien spezielle logistische Überlegungen und sogar ein Überdenken gewohnter Geschäftsmodelle. Geeignete Lagerbedingungen müssen für wiederverwendbare Materialien geschaffen werden, um ihre Qualität und Integrität zu bewahren. Darüber hinaus kann der Transport von diesen Bauteilen aufgrund ihrer oft ungewöhnlichen Formen oder Größen komplexer und kostspieliger sein als der Transport neuer Materialien. Ein weiteres zu beachtendes Thema ist die Einhaltung von Baustandards und -vorschriften. Die Unternehmen müssen sicherstellen, dass wiederverwendete Materialien den geltenden Normen entsprechen, was eine Herausforderung darstellen kann, insbesondere wenn diese Materialien aus älteren Gebäuden stammen, die nach anderen Standards gebaut wurden. Die Notwendigkeit, die Konformität dieser Materialien nachzuweisen, kann zusätzliche Tests und Zertifizierungen erfordern, was den Bauprozess verzögern kann und ökonomisch sorgfältig betrachtet werden sollte.


Umwelt


Die Bauindustrie ist einer der größten Verbraucher natürlicher Ressourcen weltweit und generiert einen erheblichen Anteil des globalen Abfalls. Neben dem Anspruch, möglichst langlebige Bauten zu erschaffen, bietet die Neunutzung von Bauteilen in geeigneten Projekten die Möglichkeit, dem Trend einer steigenden Umweltbelastung entgegenzuwirken. Der Vorteil für die Umwelt: Durch die Wiederverwendung wird der Bedarf an der Gewinnung neuer Materialien reduziert, was wiederum die Ausbeutung natürlicher Ressourcen verringert. Gleichzeitig wird durch den geringeren Primär-Materialbedarf auch weniger Abfall produziert, was die Deponiebelastung mindert und die Umweltverschmutzung verringert. Die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks durch Wiederverwendung ist zudem ein entscheidender Schritt hin zu einer nachhaltigeren Bauindustrie mit positiver Wirkung auf eine verringerte CO2-Belastung.


Kosten


In Zukunft werden Baustoffmängel aufgrund schwindender Ressourcen mit Kostensteigerungen einhergehen, die zusätzlich durch eine CO2-Bepreisung und steigende Energiekosten beeinflusst werden. Die politischen Rahmenbedingungen und Maßgaben einer zukünftigen Finanzierung werden voraussichtlich nachhaltige Immobilienprodukte fordern und bei einer Nichterfüllung gar finanzielle Sanktionen hervorrufen.


Energie


Viele der heute verbauten Baumaterialien wurden in einem energieintensiven Prozess hergestellt, der mit einem hohen CO2-Ausstoß verbunden ist. Eine Wiederverwendung solcher Bauteile kann einen erneuten Energiebedarf erheblich reduzieren. Weniger Energieverbrauch bedeutet nicht nur geringere Kosten, sondern auch eine Reduktion klimaschädlicher Bedingungen.






Bild rechts: 

Bauteile wiederverwenden


Unsere Buchempfehlung:

Ein Kompendium zum zirkulären Bauen, vom konkreten Fallbeispiel „Kopfbau K.118“ zur Standortbestimmung: Das umfassende Handbuch zum Thema Wiederverwendung von ganzen Bauteilen


Bild links: 

Wiederverwendet mit Symbolkraft 


Schaufenster Europa: Sitz des Europäischen Rats in Brüssel, Fenster-Collage mit ca. 3.000 restaurierten Holzfensterrahmen aus allen EU-Mitgliedstaaten. Architeken: Philippe Samyn & Partners




Den Vorteilen für Umwelt und Nachhaltigkeit stehen einige Herausforderungen gegenüber, die gemeistert werden wollen. Im Fokus sind hier folgende Themen.


Umdenken der Immobilienwirtschaft


Die Immobilienwirtschaft definiert den Wert eines Bauwerks bisher auf einen bestimmten Zeitpunkt der „Fertigstellung“ und denkt von diesem Zeitpunkt aus, in verbindlichen Fristen für Gewährleistung von Qualitäten und steuerliche Abschreibungen. Jeder Eingriff in ein Objekt wirft in diesem Zusammenhang Fragen auf. Und auch die Wiederverwendung von Bauteilen kommt in diesem geschlossenen System bisher nicht vor. Die politischen Rahmenbedingungen der EU werden in den nächsten Jahren voraussichtlich weiterhin zu Veränderungen in den Geschäftsmodellen der Immobilienwirtschaft führen. 


Baustandards und Zulassungen


Zahlreiche Bauelemente, vor allem jene aus Abrissvorhaben, entsprechen nicht mehr den heutigen Spezifikationen und Normen, da sie nach anderen Vorgaben gefertigt wurden. Ihre Anpassung an aktuelle Bedingungen kann sich als mühsam oder wirtschaftlich nicht tragbar erweisen, besonders wenn umfangreiche bauaufsichtliche Zulassungen erforderlich sind, um ihre Tauglichkeit und Sicherheit zu bestätigen.


Qualität und Kompatibilität


Die Gewährleistung von Qualität und Kompatibilität bei der Wiederverwendung von Bauteilen in neuen Systemen und Materialien ist eine signifikante Herausforderung. Dies trifft insbesondere auf ältere Bauteile zu, die nicht mehr den aktuellen technischen Standards oder ästhetischen Erwartungen gerecht werden. Im Hinblick darauf ist eine Neudefinition von Standards und Qualitätsanforderungen erforderlich.



Überall auf der Welt entstehen Projekte, die zeigen, wie die Wiederverwendung von Baumaterialien gelingen kann. Von der Schweiz, wo der Kopfbau K.118 auf dem Winterthurer Lagerplatz als monumentales Beispiel dient, bis hin zu den zahlreichen urbanen Erneuerungsprojekten in Städten wie Brüssel, Berlin und Amsterdam, wiedergenutzte Bauteile in das Stadtbild integrieren. Diese Projekte sind nicht nur Beweis für die Machbarkeit, sondern auch Inspirationsquelle für Architekten, Planer und Bauherren weltweit.


Projekte


K.118, Winterthur, Schweiz

Der Kopfbau K.118 demonstriert auf dem Winterthurer Lagerplatz eindrucksvoll das Potenzial und die Komplexität der Wiederverwendung von Bauteilen. Dieses Gebäude, als das bislang größte seiner Art in der Schweiz, das hauptsächlich aus wiederverwendeten Materialien besteht, setzt neue Maßstäbe in der nachhaltigen Architektur. 

Architekten: baubüro in situ


Bankside Urban Forest, London, UK

In diesem Projekt wurden Pflastersteine und Straßenmöbel aus anderen Teilen der Stadt wiederverwendet. Diese Elemente tragen zur Gestaltung öffentlicher Räume bei, die sowohl funktional als auch ästhetisch ansprechend sind und fördern die Idee einer zirkulären Wirtschaft innerhalb der Stadtentwicklung. 

Architekten: WWM Architects


De Ceuvel, Amsterdam, Niederlande

Für die Gestaltung dieses nachhaltigen Büro- und Kreativparks wurden alte Hausboote auf ein ehemaliges Industriegelände gebracht und umfunktioniert. Zusätzlich wurden Baumaterialien und Möbel aus Abbruchprojekten und Überschüssen wiederverwendet, um einzigartige Arbeitsräume zu schaffen. 

Architekten: Space&Matter


The Circular Pavilion, Paris, Frankreich

Dieses temporäre Gebäude wurde fast vollständig aus wiederverwendeten Materialien gebaut, einschließlich Holztüren, Fensterrahmen und anderen Bauelementen, die aus Abbruchprojekten in Paris stammen. Das Projekt demonstriert die Möglichkeiten der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen.

Architekten: Encore Heureux Architects


The Green House, Utrecht, Niederlande

Das Green House nutzt eine Vielzahl von wiederverwendeten Materialien, darunter Glasfassadenelemente und Innenausstattung, die aus früheren Gebäuden stammen. Ziel des Projekts ist es, ein vollständig demontierbares und wiederverwendbares Gebäude zu schaffen, das als Vorbild für zukünftige nachhaltige Bauvorhaben dient. 

Architekten: architectenbureau cepezed


Weiterführende Links


Concluar

„Messbar kreislaufgerecht in die Zukunft“


Schweizer Baumuster

Centrale Zürich

„Wiederverwendung von

Bauteilen“ (YouTube)


New Horizon

„Die Stadt als Quelle“ (Website)


Oogstkaart

Urban Mining Karte (Website)


Technische Hochschule Augsburg

„Architektur. im Kreis.“ (Website)


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Vom konkreten Fallbeispiel
„Kopfbau K.118“ zur Standortbestimmung:
Das umfassende Handbuch zum Thema
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aib On Tour


Unterwegs mit Guiding Architect Willem Bruijn im österreichischen Vorarlberg.

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