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One Hundred Years

WILLEM BRUIJN




Willem Bruijn setzt sich intensiv mit Gebäuden auseinander, die 100 Jahre und länger Bestand haben. Wir telefonierten mit ihm über die Herausforderungen, denen sich die Baubranche im Streben nach „echter“ Nachhaltigkeit gegenübersieht.



Herr Bruijn, wie geht es Ihnen? Wie ist das Aprilwetter gerade in Vorarlberg?


Hier schneit es stark, ich war gerade bei der Apotheke und bin im Schneesturm zurückgefahren – es ist ziemlich kalt. Aber jetzt bin ich wieder im Warmen.


Da sind wir ja direkt beim Thema Klimawandel.


Na ja, es ist schön, wenigstens etwas vom Winter zu haben. Früher war der Winter anders, da konnten wir mit den Kindern direkt hier vor unserem Haus auf unserer Straße rodeln, und ich habe auch Skitouren gemacht. Die Möglichkeiten dafür werden jedoch immer weniger, man muss immer höher hinaus, um Schnee zu finden. Das Klima verändert sich rapide, und das bereitet mir Sorgen. Viele Menschen bemühen sich um Umweltschutz, doch es scheint, als wäre das nicht ausreichend. Es könnte passieren, dass es bald das ganze Jahr über warm ist. 


Als Architekt und Planer denken Sie sehr weit in die Zukunft und haben Ihren anspruchsvollen Aktivitäten gleich auch einen programmatischen Namen gegeben: „onehundredyears“.


Wir müssen Gebäude schaffen, die nicht nur eine Generation überdauern, sondern die in 100 Jahren noch genauso funktionieren und geschätzt werden, wie heute. Das ist echte Nachhaltigkeit – weniger zu bauen, mehr zu bewahren und das Bestehende sinnvoll zu nutzen.


Wie kommen Sie zu diesem herausfordernden Ansatz? Haben Sie Ihre Projekte schon immer so gesehen?  


Nein, das hat sich aufgrund meiner langjährigen Tätigkeit herausgebildet. Ich bin seit 34 Jahren in der Architekturbranche tätig, darunter acht Jahre in der Schweiz, elf Jahre in den Niederlanden und 15 Jahre bei einem großen Architekturbüro, das Projekte weltweit umsetzte. Anschließend war ich zwei Jahre lang Direktor in einem Architekturbüro in Schweden und Norwegen. Parallel dazu habe ich etwa zehn Jahre lang an Universitäten unterrichtet. In diesen Jahren konnte ich mir viel Wissen aneignen. Mit der Zeit erkennt man, dass das eigene Schaffen ein Beitrag zu einer bestehenden Kultur ist, die viel länger währt, als das eigene Leben. Das Wichtigste in meinem Berufsleben heute ist, dass ich zunehmend langfristiger denke. Man überlegt nicht mehr nur kurzfristig über ein einzelnes Projekt oder einen bestimmten Auftraggeber, sondern denkt ganzheitlich mit den Bauherren über den langfristigen Wert ihrer geplanten Gebäude nach.




aib auf Tour mit Guiding Architect Willem Bruijn im österreichischen Vorarlberg.




Sind Unternehmen und Bauherren denn schon bereit über ihre eigene Existenz hinaus zu denken und den Mehrwert eines langlebigen Gebäudes zu sehen?


Man wird heute noch nicht jeden überzeugen können. Aber wir werden zunehmend Konzepte in diese Richtung sehen, da bin ich mir sicher. Momentan ist die gesamte Planungsphase ja oft nur darauf ausgerichtet, die Baukosten bis zur Fertigstellung zu decken. Was danach geschieht, wieviel die Instandhaltung des Gebäudes kosten wird, wie oft technische Installationen ersetzt werden müssen oder ob dies während der Nutzung überhaupt möglich ist, wird selten bedacht und in die Gesamtbilanz mit eingerechnet. Stattdessen sollten wir die Gesamtkosten ermitteln und transparent auf den Tisch legen. Daraus können dann Konsequenzen gezogen und Argumente für die Wahl qualitativ hochwertiger, langlebiger Baumaterialien getroffen werden. 



„Wenn wir noch weiter denken, sollte ein Gebäude über die Jahrzehnte hinweg in der Lage sein, verschiedene Nutzungsszenarien zu erleben, die wir heute noch gar nicht abschätzen können. Diese Anforderung hat natürlich ebenfalls Konsequenzen und zwar in Bezug auf die strukturelle Beschaffenheit eines zu planenden Gebäudes.“



Mehr Qualität heißt aber auch mehr Kosten.


Betrachtet man die langfristige Nutzung eines Gebäudes über 100 Jahre hinweg mit verbauten hochwertigen Baustoffen, so stellt sich eine Kostenersparnis allein schon durch eine bessere Ökobilanz und einen verringerten Energieverbrauch ein. Der Neubau von Gebäuden ist eine der umweltschädlichsten Aktivitäten weltweit, verschmutzender als die gesamte Landwirtschaft und die Containerschifffahrt. Der Materialverbrauch, der Transport und die damit verbundenen Emissionen verbrauchen oft die Hälfte der gesamten Energie, die ein Gebäude über seine Lebensdauer verbrauchen wird. Dies verdeutlicht das Ausmaß der Verschmutzung in der Bauindustrie, eine Tatsache, die oft übersehen wird. Zudem wird das Konzept der Nachhaltigkeit häufig missbraucht. Gebäude werden als nachhaltig beworben, bevor ihre langfristige Bilanz dies unter Beweis gestellt hat. Daher bin ich der Meinung, dass Bauplanungen sicherstellen sollten, dass neue Gebäude mindestens 100 Jahre lang nutzbar sind. 






Das Monadnock Building in Chicago ist 135 Jahre alt. Mit einer Höhe von 60 Metern zählt es zu den höchsten Gebäuden der Welt, die über eine tragende Mauerwerkskonstruktion verfügen.






Sie sprachen die gute Ökobilanz von über 100-jährigen Gebäuden an. Auf Ihrer Website sind Fotografien von langlebiger Architektur zu sehen. 


Ja, es gibt auf meiner Website einige faszinierende Bauwerke. Eines davon ist das Hochhaus Monadnock Building in Chicago. 1889 erbaut, ist es mit 60 Metern Höhe bis heute eines der höchsten Hochhäuser der Welt mit tragendem Mauerwerk. Es ist beeindruckend, dass es immer noch steht. Was mich an solchen Fassaden fasziniert, ist nicht nur ihre langlebige Bauweise, sondern neben ihrer Ästhetik auch die Geschichte und die Struktur, die sie bieten. Diese Gebäude besitzen eine Schönheit, die die Zeit überdauert hat und ihre architektonischen Merkmale, wie die Art der Steinarbeiten und die vertikale Abstufung ihrer Struktur, machen sie besonders interessant.


Das Gebäude und die Fotografie des Monadnock ist beeindruckend. Haben Sie die Architekturbilder auf Ihrer Website fotografiert?


Ja, die Fotografie ist eine langjährige Leidenschaft. Mittlerweile habe ich ein ziemlich großes digitales Archiv von Fotografien, das ich auch für meine Beratungstätigkeiten nutze. 


Neben Ihrer Beratungstätigkeit sind Sie Guiding Architect. aib war mit Ihnen auf Tour in Vorarlberg. Das Feedback der Reisegesellschaft war grossartig. 


Das freut mich sehr, vielen Dank. Ja, in meiner Karriere habe ich festgestellt, dass der Austausch und das gegenseitige Lernen essentiell sind. Deshalb führe ich auch weiterhin Touren durch, allerdings ausschließlich für Fachpublikum und Studierende der Architektur. Diese sind nicht nur einseitige Führungen, sondern bieten Gelegenheit für tiefgehende Diskussionen und Wissensaustausch, von dem ich ebenso profitiere. Und vielleicht kehre ich ja eines Tages zur Lehre zurück, doch bis dahin werde ich weiterhin Projekte entwickeln, beraten und durch meine Fotografie inspirieren. „onehundredyears“ bleibt mein Augenmerk, nicht nur als Name meines Unternehmens, sondern als Symbol für das, was wir erreichen können, wenn wir über den Moment hinausdenken und für die Zukunft bauen.


WILLEM BRUIJN

Willem Bruijn bringt sein umfangreiches Wissen und seine Erfahrungen in der Beratung von Architekten und Bauherren ein, um deren Projekte zu unterstützen. Parallel dazu entwickelt er in Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten eigene Projektinitiativen. In seiner Fotografie dokumentiert er vor allem nachhaltige Bauwerke. Diese fotografischen Arbeiten fließen auch in seine Beratungs- und Bildungstätigkeiten ein.

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