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Sensible Weiträumigkeit

HEIKE WEBER




Die Arbeiten von Heike Weber faszinieren auf Anhieb und bieten neue Raumerfahrungen. Es war ein besonderer Moment, sie in ihren Atelierräumen in Köln zu treffen.



Frau Weber, schön dass wir uns in Ihren Atelierräumen in Köln treffen. Empfangen Sie eigentlich oft Gäste hier?


Eher selten, da meine Kunstwerke vor allem raumgreifende, ortsspezifische Installationen sind, die ich für Ausstellungsräume oder Projekte im öffentlichen Raum konzipiere. Im Atelier gibt es neben dem eigentlichen Herstellungsprozess oft nur Proben und Experimente zu sehen. Die meisten Projekte erfordern eine intensive Vorplanung und einen genau orchestrierten Produktionsprozess. Die Konzeption meiner oder der Kunstwerke in Zusammenarbeit mit Walter Eul im öffentlichen Raum erfolgen oft digital, bevor sie realisiert werden.


„Raumgreifend“ ist eine treffende Beschreibung für Ihre Kunst. Die von Ihnen gestalteten Flächen können mehrere Hundert Quadratmeter groß sein.


Jede Installation reagiert auf den gegebenen Raum und wird durch ihn beeinflusst, sodass viele der Arbeiten direkt vor Ort entstehen. Manchmal werden die im Atelier vorbereiteten Einzelteile am Ausstellungssort zusammengefügt. Bei den linearen Boden- oder Wandzeichnungen mit Pigmentmarkern kann sich die Linienführung und Verdichtung aufgrund der räumlichen Bedingungen noch während des Aufbaus verändern. Es besteht eine gewisse Freiheit innerhalb der gegebenen Struktur, die ich je nach räumlicher Situation anpasse. Wenn ich zum Beispiel einen Raum betrachte, berücksichtige ich Elemente wie Säulen oder den Grundriss und selbst vorhandene Möbel können Einfluss auf die Zeichnung nehmen. Ich zeichne den Grundriss nach und wiederhole diese Linienführung, wodurch durch kleine Unregelmäßigkeiten eine dreidimensionale Illusion – ein Trompe d’oeil entsteht. Die Zeichnung ist ein Echo des Raumes. Ich erinnere mich an die Ausstellung in der Kunsthalle Wien, in dessen Foyer ich mit meinem Assistenten über 10 Tage hinweg eine Fläche von etwa 700 Quadratmetern gezeichnet habe.





„Ich wünsche mir, dass die Betrachter meiner Arbeiten unmittelbare visuelle und körperliche Erfahrungen machen und sich Zeit dafür nehmen. Es gibt viel zu entdecken und zu erspüren.“




Das klingt nach einem körperlich anstrengenden Prozess. Wie körperlich ist Ihre Kunst?


Meine Kunst ist tatsächlich sehr körperlich und erfordert intensive Konzentration. Ich möchte, dass die Betrachter meiner Kunst unmittelbare visuelle und körperliche Erfahrungen machen und sich Zeit dafür nehmen. Es gibt viel zu entdecken und zu erspüren. Zum Beispiel ermöglichen die überlappenden Scherenschnitte „scrub“ ein tiefes Eintauchen in ein Gewirr aus Blättern und Ästen, wobei die Wand zum Licht wird. Sie vermitteln  eine tiefgründige Suche nach „Befreiung“.  Der Herstellungsprozess nimmt viel Zeit in Anspruch, was sich auch in der Wirkung der fertigen Werke widerspiegelt. Auch die technisch anspruchsvollen Projekte für den öffentlichen Raum, die ich mit meinem Partner Walter Eul entwickele, installieren wir persönlich vor Ort.


Für den Medienkonzern Bloomberg in New York haben Sie eine Ihrer handgezeichneten Bodenarbeiten als dauerhafte Installation umgesetzt, die seither viele Besucher beeindruckt hat.


Ich war sechs Wochen vor Ort und habe während des laufenden Betriebs im Foyer des Gebäudes meine linearen sich überschneidenden Kreise mit Permanentmarkern gezogen. Besucher haben mir oft bei der Arbeit zugeschaut und Fragen gestellt. Ich schätze diesen direkten Austausch sehr und informiere gerne über meine Arbeit. Auch die Qualität der anschließenden Bodenversiegelung war entscheidend, weshalb ich meine bevorzugte Bodenfirma Obrycki-Bodendesign nach New York mitgebracht habe.


Weitere Bodenarbeiten, die an monumentale Teppiche erinnern, haben Sie für eine Ausstellung des Kunstvereins Ludwigshafen aus Silikon erstellt. Arbeiten Sie gerne auf dem Boden?


Ja, das Arbeiten auf dem Boden liegt mir sehr. Die Inspiration für die „kilims“ kam während eines Stipendiums in Istanbul, wo ich von fantastischer orientalischer Teppichkunst umgeben war. Dort entstand die Idee, überdimensionale, raumbezogene Teppiche mit profanem Bäder-Silikon zu zeichnen und mit dem Klischee zu arbeiten. Dies führte zu Arbeiten, die bis zu fünfzig Quadratmeter groß waren und alle dem symmetrischen Design der Orientteppiche folgten, aber jeder Symbolik durch die gestische Zeichnung enthoben waren. Die eigentliche Inspiration, auf dem Boden zu arbeiten, kam allerdings während eines früheren Stipendiums in Seoul/Südkorea, wo in traditioneller Umgebung alles auf dem Boden stattfindet – vom Essen bis zum Schlafen. Dies hat mich tief beeindruckt. Viele meiner Werke, einschließlich der erwähnten Scherenschnitte, entstehen auf diese Weise auf und auch für den Boden.


Und das auch im Überformat: Ihre mehrlagigen Scherenschnittarbeiten können sich schon mal auf eine Fläche von 4 x 9 Meter ausbreiten.


Bei meinen Papierschnitten unterscheide ich zwischen zwei Serien: die einen sind durch strengere, zwei- oder dreilagige rechteckige Formate gekennzeichnet, während die neueren Arbeiten modular angelegt sind. Die Schnitte sind auf farbigem Tonpapier dunkelfarbig grundiert. Die rückseitige Farbe – meist blau oder rot – strahlt subtil an die Wand und erzeugt so eine schwach farbige Aura.

Als Vorlagen für meine Schnitte dienen Fotos von Unterholz und Dickicht. Ich wähle interessante Ausschnitte, die ich dann auf die Rückseite der Papiere projiziere und ausschneide. Diese Schichten werden dann übereinandergelegt und die finale Zusammenstellung der Lagen festgelegt. Die modular konzipierten „scrubs“ lassen sich flexibel an verschiedene Raumgegebenheiten anpassen. Vor Ort entsteht dann eine Collage, was vor allem im Umgang mit dem Farbduktus der Module eine eigene Herausforderung darstellt. Es fühlt sich an, als würde ich mit vorgeschnittenen Papieren malen. Für die Arbeit ist es schön, wenn Tageslicht von der Seite in den Raum einfällt, da durch das wechselnde Licht die Arbeit sich lebendig verändert. 

Die rechteckigen „scrubs“, die ich im Studio realisiere, sind klar definiert. Die anderen entstehen in situ für den gegebenen Ort. Ich warte noch auf die Gelegenheit, einmal eine ganze Raumecke oder sogar einen kompletten Raum mit den Schnitten zu besetzen, bereite es aber nicht im Voraus vor, sondern warte auf die Gelegenheit. Ich schätze die Herausforderung, in „ungewöhnlichen“ Räumen zu arbeiten, die nicht der museale „white cube“ sind, da ihre architektonischen Besonderheiten mir erlauben, kreativ auf die Räume zu reagieren. 








Permanentmarker, Silikon, Plastikkordeln, Window-Color. Sie arbeiten auch gerne mit Alltagsmaterialien.


Unkonventionelle Materialien wie Styropor, Haarnetze, Wäscheleinen, Nägel und Teppichboden faszinieren mich. Meine lineare Wandzeichnung „armor & psyche“ realisiere ich nach Ausstellungsanfrage immer wieder neu mit Window-Color auf Nägeln – beides sind Alltagsmaterialien, die normalerweise nicht zusammenfinden. Wenn die Ausstellung vorbei ist, gehen die Materialien wieder ins Lager. „amor und psyche“ verschwinden bei Abnahme allerdings zu einem Knubbel Farbe und wenn ich sie wieder zeigen möchte, muss ich sie neu realisieren.  


Ihre Arbeiten für Kunst am Bau entstehen vorwiegend im Duo mit Ihrem Partner Walter Eul.


Ja, seit ca. 10 Jahren realisieren mein Partner Walter Eul und ich große Projekte für öffentliche Gebäude. Walter kommt aus der Malerei, der elektronischen Musik und der Informatik. Ich würde mich als skulpturale Zeichnerin zwischen Minimalismus und Barock bezeichnen. Die Zusammenarbeit führt zu einer produktiven Symbiose, die es uns ermöglicht, komplexe Raumkonzepte umzusetzen. Bei Projekten, bei denen wir riesige Gebilde aus einzelnen Glaskugeln im Luftraum angefertigt haben, mussten die Aufhängungstechnik und die Fertigung bis ins Detail geplant werden, einschließlich der genauen Berechnung der Fadenlängen. Dies erfordert präzise Konzeption, eigene Softwareentwicklung und Programmierung, da es sich um Tausende von Einzelpunkten handelt, deren Positionen exakt festgelegt werden mussten. Auch die Logistik für die Realisierung plant mein Partner. 


Die Herausforderung liegt hier sicher auch in der Umsetzung.


Das stimmt. Bei dem Projekt für das neue Kinderzentrum in Bethel letztes Jahr, erstreckt sich die Skulptur in Form eines Bogens über 3 Etagen im Luftraum des Foyers. Knapp 3.500 mundgeblasene Glaskugeln haben wir mit fünf Assistenten hier im Atelier an die Fäden und an die Aluminium-Konstruktion konfektioniert. Das war wirklich Fleißarbeit, die eine hohe Konzentration erforderte. Es ist enorm viel Arbeit, aber es ist eine Arbeit, die ich sehr gerne mache und auch genieße. Es ist immer wieder schön zu sehen, wie eine Arbeit wächst und die Idee Wirklichkeit wird. Auch wenn die Vorbereitungen oft mühsam sind, freue ich mich immer wieder auf die kommenden Projekte, die wir noch in der Pipeline haben. Zurzeit arbeiten wir zum Beispiel an einem Projekt mit 17.000, teils spiegelbedampften Kugeln. Das wird das bisher Geschaffene nochmals in Größe, Aufwand und Herausforderungen überflügeln. 

Das Wichtigste ist jedoch, dass sie, nachdem die Arbeiten installiert sind, Teil des alltäglichen Lebens der Menschen an diesem Ort werden. Das zeichnet die Kunst am Bau aus. Denn bei solchen Projekten erreicht die Kunst Menschen, die vielleicht Hemmungen haben, in ein Museum zu gehen. Die Kunst kommt zu ihnen und bietet ihnen an, in Dialog zu treten. 







Heike Webers umfangreiches Werk ist zu sehen in den Katalogen "Utopia" und "Ambiopia", erschienen im Verlag Kettler, Dortmund.






Und wie ist das, wenn Sie hier im Atelier alleine ohne Assistenten arbeiten?


Wenn ich hier alleine arbeite, höre ich oft leise Radio, allerdings keine Wortbeiträge, da diese meinen 

kreativen Prozess stören. Die Arbeit selbst kann monoton sein. Dieser Zustand ist jedoch Teil des kreativen Prozesses, der es mir ermöglicht, mich vollkommen auf die Arbeit und neue Ideen zu konzentrieren. Das beflügelt mich. Das größte Glück für mich als Künstlerin ist der kreative Prozess selbst – das Eintauchen in die Arbeit und das Suchen nach neuen Ausdrucksformen. Obwohl es schwieriger wird, neue Werkreihen zu erfinden, weil man seinen Ansprüchen gerecht werden möchte und die Erwartung groß ist, ist die Freude über ein fertiges Werk immer noch das Größte. Früher, in meinen Zwanzigern, habe ich viel mehr Zeit zum Experimentieren gehabt, jetzt muss man sich die Zeit dafür nehmen. Diese Zeit ist sehr wertvoll und es ist ein wunderbares Glück, wenn ich etwas Neues für mich entdecke. Oftmals sind es lange Autofahrten, was kreative Langeweile ist, Auslandsaufenthalte oder Einladungen zu Projekten in ungewöhnliche Räume, die mich zu neuen Ideen bringen.


Haben Sie da ein Beispiel?


Ja, tatsächlich. Vor zwei Jahren war ich zu einem Skulpturenprojekt eingeladen, obwohl Skulpturen im Außenraum normalerweise nicht mein Medium sind. Die Ausstellung fand an einem einzigen Tag in einem barocken Park in Köln statt. Am Abend wurde alles wieder abgebaut. Für dieses eintägige Event wollte ich ein Vanitas-Motiv schaffen. Inspiriert von einer früheren Arbeit, entschied ich mich für ein Selbstporträt aus Eis, das über den Tag hinweg schmelzen sollte. Die Realisierung musste ein Profi übernehmen, denn die Skulptur sollte nicht einfach nur schmelzen, sondern ästhetisch dünner werden, ohne dass Teile wie der Kopf oder die Füße als Erstes abfallen. Die Skulptur wurde an der Stelle eines ehemaligen Springbrunnens aufgestellt, was dem Ganzen eine zusätzliche Bedeutung gab, da ich bei meiner Recherche historische Fotos von hohen Springbrunnen gefunden hatte. Die Vergänglichkeit meiner Arbeiten spiegelt sich auch in diesem Projekt wider – ein Thema, das ich oft in meinen temporären Installationen aufgreife. Nach der Ausstellung bleibt die Kunst nicht dauerhaft bestehen, sondern existiert nur für einen Moment, wie bei den Teppichen in Ludwigshafen.    


Die Künstlerin selbst verschwindet mit ihrem Selbstporträt während der Ausstellungsdauer. Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang.


Ja, das ist einerseits flüchtig und merkwürdig, aber es ist auch wunderschön. Am nächsten Tag war das Werk verschwunden. Die ursprüngliche Idee entstammt einer Arbeit, die ich 2005 während eines Stipendiums in der Casa Baldi, in Olevano Romano in der Nähe von Rom gemacht habe, wo ich kleine Schneemänner im Gefrierfach erschuf und bei 30 Grad im Garten schmelzen ließ. Die Video-Loops, die daraus entstanden sind, sind sehr existenziell und berührend.


Ist in dieser Arbeit auch Melancholie spürbar?


Die Arbeit aus Eis sollte trotz ihrer Vergänglichkeit spielerisch sein. In diesem Werk von kurzer Lebensdauer geht es natürlicherweise um Zeit und um die Vergänglichkeit. Ich fühle mich in solch körperlich existentiellen, melancholischen Themen zu Hause. 

Das Schaffen von Kunstwerken, die verschwinden  –  ausschließlich in der Erinnerung bleiben, fasziniert mich. Ich habe die Einladung zu der Ausstellung an diesem besonderen Ort damals genutzt und mir damit das Bedürfnis erfüllt. Die Tatsache, dass das Kunstwerk final verschwindet, entspricht mir. Das hat mit der Vergänglichkeit des Lebens zu tun, was hart ist, aber ich finde diesen Auflösungsprozess gleichzeitig wunderschön. Die Skulptur war für mich am beeindruckendsten, als der Schmelzprozess schon einen halben Tag andauerte und ihre Kontur sich langsam auflöste – das war der Moment, in dem sie mir am ähnlichsten erschien. So absurd das klingen mag ... 


Das Fragile, Zerbrechliche ist sicher ein Merkmal in Ihren Werken.


Ja, und ich denke auch das Tiefgründige. Ich erinnere mich noch an eine hochsensible Schleifarbeit für eines meiner ersten Projekte, bei dem ich aus hauchdünn geschliffenem Styropor Kästen gebaut habe, die bei dem geringsten Windzug umzufallen drohten und dabei einen unglaublich ästhetischen Reiz ausstrahlten. Das leichte Material hatte kein Gewicht, aber es entwickelte eine transluzente Aura, die ungemein schön und sensibel war. Quasi als hässlich empfundene Materialien wie Styropor oder Silikon verwandeln sich in etwas Schönes – sogar Kostbares, ohne das Material zu verstecken. Das ist der Reiz. Auch wenn meine Arbeit manchmal vielleicht dekorativ anmutet, strebe ich nach einem tieferen, fast abgründigen Sinn. Ich möchte, dass die Betrachter etwas entdecken – dass z.B. die Wand sich entmaterialisiert und zu Licht wird oder eine Raumzeichnung zu einem schwankenden Boden wird, der den Betrachter gedanklich auf sein Dasein zurückführt. Ich suche nach einem Weg, auch wenn das Thema noch so dicht und verwoben ist, immer noch eine kleine Tür offen zu lassen, einen Ausweg oder zumindest eine Umleitung, die den Weg nach draußen weist.


HEIKE WEBER

Heike Weber ist eine zeitgenössische deutsche Künstlerin, die für ihre einzigartigen Boden- und Wandzeichnungen bekannt ist. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch ihre Verwendung von Silikon und anderen Materialien aus, mit denen sie komplexe, oft psychedelisch anmutende Muster und Texturen schafft. Webers Kunstwerke spielen mit der Wahrnehmung von Raum und Tiefe und laden den Betrachter dazu ein, den Raum auf eine neue und unerwartete Weise zu erleben. Ihre Installationen sind meist ortsspezifisch und integrieren die gegebene Architektur in das Kunstwerk, wodurch eine dynamische Interaktion zwischen dem Kunstwerk und seiner Umgebung entsteht. Weber hat in zahlreichen internationalen Ausstellungen ausgestellt und ist für ihre innovative Technik und ihren einzigartigen künstlerischen Ansatz anerkannt.

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