
Lean Construction Management in der Praxis
Interview

Archonic GmbH
Stuttgart
Erfahrungen und Herausforderungen bei gemeinsamen Bauprojekten.
Ein Interview mit Tobias Knappe und Roger Schulz von Archonic.
Herr Knappe, Herr Schulz, in der Kooperation zwischen aib und Archonic wenden Sie auch bei Ihren gemeinsamen Bauprojekten die Lean Methode an. Was macht Lean Management attraktiv für die Bauindustrie?
Beim Bauen handelt es sich meistens um sehr individuelle Einzelanfertigungen. Dadurch ist der Automations- und Industrialisierungsgrad sehr gering. Dies führt zu hohen Kosten und zu erheblichen Reibungsverlusten während Planung und Bauausführung. Lean Management ermöglicht bessere Abläufe und eine Synchronisation derselben. Außerdem kann die Methode Iterationsschleifen und Reibungsverluste vermeiden helfen.
Wie sorgt denn die Methode konkret für Verlässlichkeit beim Bauen?
Mit der Lean Taktfertigung wird das Gebäude in viele gleiche Einheiten mit ähnlichen Aufgaben und Ressourcenbedarfen „zerlegt“. Durch die Wiederholung der einzelnen Einheiten werden Probleme schnell erkannt und bei den folgenden Takten eliminiert. Es gibt in den Taktbereichen klare Leistungssolls und Qualitätsstandards. Vor Beginn und vor Abschluss wird der Bereich mit dem Gewerk und dem Nachfolger begangen und ein Bereich erst dann vom Nachfolger übernommen, wenn er sauber ist und 100 Prozent der Vorleistung erbracht wurden. Das sorgt dafür, dass auch zwischen den beteiligten Gewerken eine Verlässlichkeit entsteht.
Welche Voraussetzungen benötigt Lean Construction?
Lean Construction muss bereits vor der Beauftragung der beteiligten Gewerke vertraglich berücksichtigt werden, da Lean in die Mikrosteuerung der Leistungserbringung der Nachunternehmer eingreift. Wenn ein Unternehmen nicht ausreichend oder gar nicht teilnimmt, kann Lean nicht umgesetzt werden. Planerisch muss bei der Ausschreibung und Planung von der Wertschöpfung rückwärts gedacht werden: Wann braucht wer wo welches Material? Welche Informationen sind notwendig? Wie lange braucht eine Person für den Arbeitsschritt? In Summe ergibt sich damit eine verlässliche Kapazitätsplanung für den Unternehmer, die in der Kalkulation berücksichtigt werden kann. Diese Planbarkeit führt zu einer hohen Eigenmotivation, aktiv am Lean System mitzuwirken.
Sie haben die Vorteile der Methode für die Gewährleistung reibungsloser Prozesse beschrieben. Gibt es mögliche Schwächen von Lean Construction bei der Umsetzung?
Bei der Taktfertigung im Lean müssen wiederkehrende Elemente vorhanden sein, zum Beispiel mehrere Stockwerke mit ähnlichem Aufbau. Je individueller die einzelnen Gebäudeabschnitte im Aufbau sind, desto weniger kann die Methode angewendet werden, da unterschiedliche Leistungen mit unterschiedlichem Materialeinsatz und Dauer von Nöten sind. Es funktioniert nur, wenn alle mitmachen und sich vor Baubeginn intensiv mit jedem Handgriff, jedem Materialtransport und jeder Materialdisposition auseinandersetzen. Zudem müssen die Leistungsumfänge bekannt sein. Man kann zwar mit gewissen Schwankungen arbeiten und Änderungen des Bauherrn oder Überraschungen im Bestand lassen sich bereits zu Beginn mit einkalkulieren. Sollten aber die dann notwendigen zusätzlichen Kapazitäten nicht zur Verfügung gestellt werden können, muss das Lean-System aktiv überarbeitet und angepasst werden.
Lean Construction kann bei Neubau und Bestand eingesetzt werden. Voraussetzung ist, dass bei der Taktfertigung wiederkehrende Prozesse etabliert werden können. Alternativ lässt sich über das Last Planer System ein wesentlich agileres System aus dem Lean Management etablieren. Dabei werden in einer regelmäßigen 2-4 Wochenvorschau aktiv mit allen Beteiligten gemeinsam die wertschöpfenden Leistungen besprochen bzw. geplant. Dabei werden Störungen, Engpässe oder Überkapazitäten identifiziert und im Bauablauf aktiv darauf reagiert. Ziel ist es, eine konstante Wertschöpfung zu erreichen und so keine Verschwendung in Form von überraschenden Wartezeiten oder Überkapazitäten zu erzeugen. Im Grunde kann man das mit einem Stau auf der Autobahn vergleichen, der nur entsteht, weil nicht alle gleichförmig Fahren. Es wird also der Ziehharmonikaeffekt vermieden. Die Erfahrung zeigt, dass im Bestand häufig unerwartete Themen auftauchen und dadurch der geordnete Ablauf gestört wird. Abweichend von der starren Taktfertigung würden wir bei anderen Bestandsprojekten einen flexiblen Takt mit der Last Planer Methode vorziehen.
Welche konkreten Vorteile bietet diese Methode für Sanierungsprojekte?
Welche besonderen Herausforderungen bieten Sanierungsprojekte mit Lean für die beteiligten Planer?
Bei Sanierungen wird häufig in Gebäuden gearbeitet, deren Bausubstanz viele Schadstoffe enthält. Wenn es eine Mietsituation gibt, ist im Planungsprozess außerdem nur eine eingeschränkte Bestandsaufnahme möglich. Dann muss man im Prozess immer wieder entscheiden, ob etwas im Bestand falsch ausgeführt ist und ob es korrigiert werden muss oder ob wir uns auf die wirklich geplanten Umfänge konzentrieren. Mit der umfangreichen Planung des Bauablaufs bis hin zu einzelnen Handgriffen lässt sich aber ein Sanierungsablauf ermöglichen, der bei vielen älteren Gebäuden angewendet und verfeinert werden kann.
Können Sie aus eigener Erfahrung Projektabläufe mit und ohne die Anwendung von Lean Construction vergleichen?
Bei konventionellen Methoden werden Probleme oft erst am Ende der Wertschöpfungskette erkannt. Das letzte Glied in der Kette wie die Maler oder die Reinigung haben dann keine Chance, vorher gemachte Fehler auszumerzen. Bei den mit Lean geplanten Projekten ist das anders. Durch die Taktplanung werden einzelne Bereiche fertiggestellt, bevor in anderen mit der Arbeit begonnen wird. In einem beständigen Lernprozess können so Erfahrungen berücksichtigt und Verbesserungen umgesetzt werden. Das A und O ist eine gründliche Bestandsaufnahme, sowohl für die Objektplanung, aber vor allem auch für die Haustechnik.